Dolomiti 2019, Tag 1:
- Toblach - Toblach
- 110 km · 2150 hm · Hochalpin
Toblach liegt perfekt, wenn man in die Bergwelt der Drei Zinnen eintauchen will. Nur gut 15 Kilometer trennen die Kleinstadt von den wohl berühmtesten Gipfeln der Dolomiten, wenn nicht der ganzen Alpen. Jeder erkennt sie, wenn er ein Bild von ihnen sieht: die Drei Zinnen. Zu diesem Naturwunder zieht es natürlich auch uns Alpenvettern, denn auf dem Weg dorthin dürfen wir ein paar Höhenmeter sammeln.
Bei strahlendem Sonnenschein und Vogelgezwitscher starten wir nach einem ausgiebigen Radfahrer-Frühstück in Toblach. Wir rollen einmal durch die Kleinstadt, passieren den Bahnhof und sehen schon links und rechts die mächtigen Felsflanken – leider noch nicht die der Drei Zinnen, aber trotzdem sehr schön anzusehen.
Es ist noch ziemlich kühl, hier im Höhlensteintal, der Tacho zeigt knapp unter 10 Grad, die Straßen sind auch leicht feucht. Beständig geht es leicht bergan, aber man merkt die Steigungsprozente kaum, wir pedalieren trotzdem so schnell, als wären wir in der Ebene unterwegs. Die Luft ist herrlich frisch, glasklar, sie schmeckt nach Nadelbaum und Flechten.
Doch schon bald wird der Naturduft übertüncht durch den sauer-muffigen Geschmack von Autoabgasen. Leider gibt es im Höhlensteintal nur eine Straße, die SS51 und der gesamte Tourismus zwängt sich hier Richtung Cortina hinauf. Und es sind viele, sehr viele Touristen, immer mehr Autos überholen uns.
Ein paar Kilometer weiter ist dann erst einmal ein kurzer Stopp Pflichtprogramm. Wir passieren den „Dreizinnnenblick“: Zum ersten Mal kann man die Gipfel der berühmten Zinnen erspähen. Wir sind sprachlos vom Anblick. Da bleibt uns nichts, als diesen ersten Anflug von Schönheit zu inhalieren und wieder weiterzufahren.
Jetzt folgt auch schon ein krasses Kontrastprogramm zu der edlen Schönheit der Berge. Die Dolomiten zeigen ihre wohl hässlichste Fratze, die der touristischen Autokolonnen. Man mag es gar nicht für möglich halten, wie viele Autos Ende August an einem Montag schon so früh in Richtung Berge qualmen. Auf der schmalen Dolomitenstraße herrscht Stau, nichts geht mehr. Zumindest für die Autofahrer, wir fahren immer dann, wenn kein Gegenverkehr kommt auf der linken Spur an der Blechkarawane vorbei. Es funktioniert, aber so kommt natürlich kein Alpen-Feeling auf.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir schließlich Misurina. Gott sei Dank ist das Fahren in der Kolonne vorbei. Wir lassen die qualmende Schlange hinter uns und biegen links auf die Superstrada Panoramica ab. Ziel: Drei Zinnen! Hier fahren deutlich weniger Autos, denn es handelt sich um eine ziemlich teure Mautstraße – zum Glück!
Wir passieren einen Campingplatz und sofort bäumt sich die Straße wie eine Wand auf: Rund 16% steil geht es bergan, die Kurbel dreht sich im Schneckentempo, wie gegen einen schraubstockartigen Widerstand. Wir sind froh, als wir den Lago Antorno erreichen. Dort flacht die Straße abrupt ab, es geht sogar ein paar Meter bergab. Viel interessanter ist aber der Anblick: Die Westseite der Drei Zinnen thront königlich in der Höhe und schaut auf uns herab. Bei dieser Aussicht muss man aufpassen, dass man nicht einen der armen Wanderer umfährt, die die Straße kreuzen.
Doch alles geht gut und kurz hinter dem See geht das Spektakel weiter. Auf dem Menü steht eine der edelsten Straßen in den Alpen: 12-16% steil, ohne flache Passagen; Serpentinen en masse; kaum Autoverkehr; 360°-Panoramablicke, die einem fast den Verstand rauben. Kurzum, diese Straße werden wir unseren Lebtag nicht mehr vergessen und immer wieder davon schwelgen. Wer hier nicht gefahren ist, hat etwas verpasst.
Leider viel zu schnell sind wir oben am Parkplatz des Rifugio Auronzo angekommen. Der Parkplatz ist erbärmlich hässlich, doch die Zinnen sind so nah, man glaubt, man könne sie berühren. Und Richtung Süden ein Panorama wie im Garten Eden: Der Lago di Misurina, die Cristallo-Berge und unser Favorit, die Cadini-Gruppe.
Unglaublich, aber irgendwann müssen wir weiter. Schwungvoll zischen wir die Kehren hinab und sind in nur ein paar Minuten wieder in Misurina. Zum Glück ist der Verkehr etwas leichter geworden, wahrscheinlich vertilgen die meisten Selfie-Touristen gerade ein Wiener Würstchen mit Senf als Mittagsimbiss. Wir drücken nur schnell eine trockene Semmel und etwas Wasser den Schlund hinunter. Viel gieriger als auf Essen sind wir auf die nächsten Kilo- und Höhenmeter, denn wir sind noch lange nicht fertig.
Wir fahren am Lago di Misurina vorbei Richtung Süden und treffen nach einer kurzen Abfahrt auf die Kreuzung der SS48bis und SS48. Wir folgen den Schildern, die nach rechts in Richtung Cortina weisen. Es geht leicht bergauf und wir kommen flott bis zum Passo Tre Croci voran. Nach der kleinen Passhöhe geht es deutlich steiler nach Cortina hinab. Die Straße ist aber sehr gut ausgebaut, sodass wir problemlos und ohne viel zu bremsen in den berühmten Wintersportort sausen.
Kurz vor Cortina zeigt sich uns erneut die ganze Schönheit der Dolomiten. Der Anblick der Cristallo-Gruppe ist überwältigend, am liebsten würden wir hier noch ein Stündchen Pause machen. Aber wir ziehen weiter, wer rastet, der rostet ja bekanntlich. In Cortina selbst wird es etwas wuseliger, die Sonne hat den Kessel ziemlich aufgeheizt, das Thermometer zeigt knapp um die 30 Grad, bemerkenswert bei der großen Höhe.
Nach Cortina fahren wir weiter in Richtung Norden und es wird schlagartig ruhiger. Wir fahren am Cristallo-Massiv entlang, die Straße steigt nur gemächlich an und wir können die Sonne genießen. Nach wenigen Kilometern folgt die einzige Serpentine dieser Auffahrt und es geht wieder ziemlich flach weiter. Jetzt sehen wir das Cristallo-Massiv von Norden, die Gruppe hat aus jeder Himmelsrichtung ein eigenes betörendes Gesicht.
Mit lockeren Kurbelumdrehungen passieren wir den letzten Pass für heute: Cimabanche. Hier war doch tatsächlich bis 1962 ein Bahnhof, man konnte mit dem Zug in die Dolomiten fahren. Schade, dass es die Bahn nicht mehr gibt – das würde sicher die Massen an Autos in der Region reduzieren und die Natur entlasten.
Nach Cimabanche ist eigentlich alles geschafft. Wir treffen wieder auf die Straße des Höhlensteintals und fahren bergab, vorbei an der immer noch nicht abreißenden Blechkarawane, die sich nach oben schiebt. Wir lassen es gemütlich rollen und vom Gefälle auf angenehme 50-60 km/h beschleunigen. Am Dreizinnenblick bremsen wir jedoch ein bisschen ab, um gefahrlos die Drei Zinnen ein letztes Mal für heute zu erspähen.
Das war’s für heute – oder doch nicht?! In Toblach am Bahnhof überlegen wir: Können wir so früh ins Hotel zurück?? Bei diesem herrlichen Wetter?? NEIN! Wir entschließen uns, noch ein Surplus anzuhängen, den Pragser Wildsee. Wir rollen also den Pustertalradweg nach Prags hinunter und bald erreichen wir die Straße zum Wildsee. Davor müssen wir aber eine kurzen, doch brachialen Gegenanstieg schnupfen, weil wir eine kleine Abkürzung gewittert haben. Eigentlich sollten wir wissen, dass im Gebirge Abkürzungen immer mit entsprechend höherer Steigung verbunden sind (Arbeit ist Kraft mal Weg sprach der Physiklehrer). Aber ab und zu tappt man auch nach jahrelangem Alpenradeln in die Falle.
Die Straße zum Wildsee hinauf ist eher unspektakulär. Und sie wäre eigentlich auch ziemlich ruhig, hätten wir nicht den zweiten großen Fehler des Tages begangen. Die Straße ist nämlich zwischen 10 und 15 Uhr für die Rußstinker gesperrt, nur Busse und Radfahrer dürfen passieren. Unser Unglück: Wir haben die Straße um kurz nach 15 Uhr erreicht und die Autos stürmen die Straße hinauf wie Shopping-Fetischisten beim Schlussverkauf. Die Lawine aus Blech will kein Ende nehmen, im Zentimeterabstand knattern sie in allen bunten Farben an uns vorbei.
Wir sind heilfroh, als wir diese Strecke hinter uns haben. Warum kaufen sich Raucher eigentlich so viele Zigaretten? Die Auffahrt zum Wildsee teer die Lunge genauso gut und noch dazu kostenlos. Angesäuert und in zynischer Stimmung schieben wir unsere Boliden durch Menschenmassen in Richtung Ufer. Nach dieser Tortur wollen wir zumindest den weltberühmten See ansehen.
Am Ende ist der Anblick sogar noch schöner als versprochen. Der gigantische Seekofel thront über dem Wasser. Sein Spiegelbild schimmert im See und man hat den Eindruck, man träume. Kein Wunder, dass laut Sage hier der Eingang in das mythische, unterirdische Fanes-Reich zu finden ist. Wir sind begeistert, aber gelichzeitig etwas traurig, dass der Massentourismus nicht viel von der schaurig märchenhaften Stimmung übrig lässt.
Bald kehren wir zur Straße zurück und fahren den Anstieg wieder hinab. Jetzt ist nicht mehr so viel los auf den Straßen, die meisten Touristen sind inzwischen oben am See. Naja, was soll’s, wir sind zumindest wieder eine Spur schlauer geworden. Entspannt rollen wir wieder den Pustertalradweg entlang nach Toblach, diesmal aber ohne Abkürzung. In Toblach angekommen, müssen wir uns erst mal erholen. Nicht unbedingt von der Anstrengung, denn sportlich waren wir in guter Verfassung und haben alles problemlos weggesteckt. Aber die vielen Eindrücke der heutigen Tour schwirren noch ohne Unterlass in unseren Köpfen umher. Das muss man erst einmal verarbeiten: Am Abend diskutieren wir noch lange beim traditionellen Pizzaessen über die vielen Dinge, die wir erleben durften. Über die Dolomiten könnte man eben ganze Romane schreiben.