Norgerundt 2018, Tag 3:
- Geiranger - Geiranger
- 41 km · 2120 hm · Hochalpin
Schon am Vortag während unseres Transfers von Rondane nach Geiranger war der Wettersturz zu spüren. Nur noch knapp um die 10 Grad und strömender Regen begleiteten uns auf unserer Autofahrt. Und auch in Geiranger selbst wurde es nicht besser, die ganze Nacht Regen ohne Ende.
Anfänglich war eine lange Tour zu den Trollstigen geplant. Doch bei diesen Wetterbedingungen wäre das nicht sinnvoll, vor allem weil es am folgenden Tag auch schon wieder wie aus Eimern schütten soll. Wir überlegen lange, wie wir die Situation retten können, um das Maximum aus unseren Möglichkeiten heraus zu kitzeln.
Unsere Entscheidung: Wir wollen von Geiranger zunächst die Adlerschwingen befahren. Danach aber nicht zu den Trollstigen – so weh es dem Radlerherzen tut – sondern gleich wieder hinunter nach Geiranger und von dort den Dalsnibba rauf. Der wäre eigentlich für den nächsten Tag geplant. Da die Wettervorhersage aber katastrophal ist, wollen wir den Dalsnibba lieber gleich fahren, um auf Nummer sicher zu gehen.
Wir starten nicht direkt in Geiranger, sondern am Hotel Utsikten, ungefähr 4 Kilometer vom Hafen entfernt. Das bedeutet, dass wir zunächst eine kurze Abfahrt genießen können. Die Straßen sind leider noch immer nass, wir spüren sogar leichten Niesel. Doch wir lassen uns die gute Laune nicht verderben und schießen bergab.
Ehe wir uns versehen, sind wir in Geiranger und der Geruch von salzigem Meerwasser steigt uns in die Nase. Endlich ist es richtig trocken, wir ziehen prompt die Regenjacke aus, denn nicht mehr lang und wir dürfen ein bisschen klettern und schwitzen. Zunächst geht es aber am Ufer des Geirangerfjords entlang ein paar hundert Meter eben auf der Reichsstraße 63. Hier können wir sogar ein kleines Fährboot beobachten.
Plötzlich sind sie da – die Adlerschwingen, die berühmte Panoramastraße, die in 11 Haarnadelkurven den Hang emporführt und dadurch stark an den Passo dello Stelvio erinnert. Auch die Steigung ist ähnlich wie bei der Königin der Alpenpässe, nämlich bei guten 10-12 Prozent. Doch eines ist hier definitiv anders: das Panorama. Auf fast der ganzen Strecke können wir unvergleichliche Blicke auf den Fjord, auf Geiranger und auf die vergletscherte Bergwelt im Hinterland genießen. Wir bekommen ein bisschen Gänsehaut, obwohl wir kräftig treten.
Viel zu schnell sind wir an der weithin bekannten Aussichtsplattform der Panoramastraße angekommen. Hier tummeln sich zahlreiche Touristen und wollen ein Foto von diesem einzigartigen Ausblick. Auch wir wollen natürlich ein Beweisfoto, wenn schon, denn schon. Wir drehen aber noch nicht um, sondern fahren doch noch ein kleines Stück in Richtung Trollstigen, denn die Reichsstraße 63 führt weiter ein paar Höhenmeter bergauf. Ein Alpenvetter nimmt jeden nur möglichen Höhenmeter mit.
An einem kleinen Parkplatz ist dann definitiv Schluss mit Klettern und die Straße fällt in Richtung Eidsdal ab. Hier drehen wir schließlich um und rollen zurück und an der Aussichtsplattform vorbei, auf der wir eine noch größere Menschentraube als zuvor erblicken. Jetzt halten wir uns aber nicht mehr weiter auf und stürzen uns in Richtung Meer.
Während der Abfahrt bemerken wir etwas äußerst Interessantes und Nettes: Während in den Alpen die Kehren vieler Pässe nummeriert werden und manchmal dem Radrecken Höheninformationen spendieren, haben sich die Norweger an den Adlerschwingen etwas ganz Kreatives einfallen lassen. Sie haben jeder Kehre einen Namen gegeben, den man auf einem Schild in der Kurve bestaunen kann. Klasse Idee!
Viel zu schnell sind wir wieder in Geiranger. Wir nutzen die Gelegenheit, dass die Sonne ein bisschen hinter den Wolken hervorlugt und gönnen uns eine kurze Bananenpause am Meer. So etwas hat man schließlich nicht alle Tage.
Doch wir haben ja noch etwas auf dem heutigen Klettermenü. Der Dalsnibba steht auf dem Programm. Dazu müssen wir erst einmal bis zu unserem Hotel hinauf fahren. Immer wieder schweift unser Blick in Richtung des kleiner werdenden Fjords. Schon wieder eine Aussicht wie gemalt.
Am Hotel vorbei geht es auf mäßig steigender Trasse weiter bergauf. Der Dalsnibba ist ein ziemlich langer Anstieg. Mit seinen 20 Kilometern spielt er durchaus in einer Liga mit den großen Pässen der Alpen. Dazu noch die Landschaft, die sich in einem steten Wechsel befindet. Unten grün und der enge Blick auf den Fjord. Dann wird die Natur weiter und die Bergwelt öffnet sich. Auch die Vegetation wird immer karger.
Später weicht die Pflanzenwelt gänzlich rauen Fels- und Geröllformationen. Es könnte so schön sein, wenn da nicht… Ja, wenn da nicht der beginnende Regen wäre, außerdem ein frostig-stürmischer Wind, der vom Berg hinunter peitscht. Es fühlt sich an, als käme die Luft direkt vom Gletscher, so schneidet und sticht sie auf der Haut und in den Lungen. Doch an Aufgeben denken wir nicht eine Sekunde.
Wir kämpfen uns bis zur Djupvasshytta, die den Scheitelpunkt der eigentlichen Passstraße markiert. Hier sehen wir den Vorteil eines Begleitfahrzeugs. In weiser Voraussicht haben wir das Auto auf dem Parkplatz bei der Hütte postiert. Jetzt warten auf uns 10 Minuten Wärme und ein heißer Kaffee.
Aber wir sind noch nicht fertig. Der Dalsnibba muss ins Palmarès, egal wie schlecht das Wetter wird. Wir biegen also auf die fünf Kilometer lange und über 12 Prozent steile Stichstraße ein. Am Mauthäuschen fahren wir mit einem netten Winken vorbei und die Straße bäumt sich jäh auf. Wir haben schon 15 Kilometer auf der Uhr, umso heftiger spüren wir den Schlag der einsetzenden Steigung in den Oberschenkeln.
Wir lassen uns davon aber nicht beeindrucken. Wie im Fieber rasen wir die Straße hinauf. Wir wollen nur eines: so schnell wie möglich oben ankommen, so wenig Zeit wie möglich in der Eiseskälte verbringen. Es klingt irrsinnig, aber genau das beflügelt uns. Auch unsere Begleitung haben wir mit dem Auto die steile und windungsreiche Straße hinaufgescheucht – hier schon einmal Hut ab für die Fahrleistung am Steuer von Torstens Vater! Viel früher als erwartet, kommen wir oben an, unsere Begleiter sind sichtlich überrascht von unserer schnellen Fahrt.
Der Dalsnibba rühmt sich mit der höchsten Aussicht auf einen Fjord in Europa. Das müssen wir natürlich mit eigenen Augen begutachten. Trotz nur knapp 0 Grad, die sich bei dem Sturm wie -10 Grad anfühlen wackeln wir zur Plattform und sind begeistert. Dafür haben sich die Schmerzen auf jeden Fall gelohnt. Dennoch zwingt uns die Kälte zurück zum Auto, allzu lange kann man hier nicht draußen bleiben, noch dazu verschwitzt.
Deswegen entscheiden wir auch, die Abfahrt zum Hotel im Auto zurückzulegen. eine schwere Entscheidung, denn so entgehen uns ein toller Sturzflug und herrliche Kilometer. Aber so hat das einfach keinen Sinn. Das Wichtigste ist und bleibt ja das Bergauffahren – und das haben wir bis zum Ende durchgezogen.