Dolomiti 2019, Tag 2:
- Toblach - Toblach
- 145 km · 3200 hm · Hochalpin
Dolomiten – das bedeutet Fahrfreude und Hochgenuss für den bergaffinen Radsportler. Leider muss man in den Dolomiten auch mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen rechnen. Am ersten Tag unseres Dolomiten-Urlaubs mussten wir das leidvoll erleben, als wir bei der Auffahrt zu den Drei Zinnen auf schier endlose Autokolonnen gestoßen sind. Doch zum Glück geht es auch anders! Nicht weit von Toblach, südöstlich von Auronzo di Cadore wartet hinter der Sella Ciampigotto eine imposante und zugleich wenig bekannte Berggegend auf uns. Dazu gibt es zahlreiche Kilometer und Höhenmeter satt!
Nach einem ausgiebigen Frühstück rollen wir vom Hotel zum Bahnhof in Toblach und orientieren uns direkt zum Radweg in Richtung Lienz. Dieser ist perfekt ausgebaut und früh morgens auch noch problemlos befahrbar. Wer später losfährt oder gar erst am Nachmittag hier unterwegs ist, der sollte sich auf nervenzehrende Kilometer einstellen. Immerhin ist die Strecke von Toblach nach Lienz auch bei Familien sehr beliebt. Das bremst uns Radsportler nicht nur aus, sondern sorgt auch für die ein oder andere gefährliche Situation.
Wir sind aber früh genug am Start und fahren den Radweg bis nach San Candido oder Innichen. Das kleine Städtchen hätte einiges an Sehenswertem zu bieten, so zum Beispiel die Stiftskirche Innichen oder das Dolomythos-Museum. Wir halten uns aber auf der SS52 und folgen dieser weiterhin, als sie nach rechts abzweigt. So führt uns die Straße direkt zu unserem ersten Anstieg des Tages, zum Kreuzbergpass. Dieser eignet sich hervorragend zum Einrollen, denn trotz seiner Länge von 15 Kilometern gehört er zu den leichten Pässen, die Steigung bewegt sich fast ausschließlich im Bereich von 5 % und weniger. So können wir die Aussichten genießen, immer wieder tut sich rechter Hand ein herrliches Panorama auf den Naturpark Drei Zinnen auf, unter anderem mit der imposanten Dreischusterspitze.
Lockeren Trittes fahren wir bis nach Moos. Kurz hinter dem kleinen Ort wird der Anstieg etwas anspruchsvoller und in einer Serpentine wartet die Höchststeigung von etwas mehr als 10 % auf uns. Doch keine Sorge, es wird gleich wieder flacher und wir können auf mehr oder weniger gerader Strecke entspannt zum Scheitelpunkt fahren. Dort haben wir einen guten Bick auf den Elferkofel, doch allzu lange hält es uns hier nicht und wir stürzen uns gleich in die Abfahrt.
Die Straße bergab ist zwar nicht übermäßig steil, doch sie führt in zahlreichen, mitunter engen Kurven und Kehren hinunter ins Tal, sodass man aufmerksam und bremsbereit abfahren sollte. Zudem befindet sich ein Großteil der Strecke im Wald, der stetige Wechsel aus Licht und Schatten erfordert zusätzliche Konzentration. Achtung: Kurz vor dem Ende der Abfahrt, also kurz vor der Ortschaft Dosoledo, müssen wir in eine unscheinbare Seitenstraße rechter Hand einbiegen und danach gleich wieder links weiterfahren. So kommen wir direkt zur SP532 und am besten halten wir kurz an der Cappella della Madonna delle Grazie. Diese befindet sich linker Hand an der Straße und wir genehmigen uns einen kräftigen Schluck aus dem Bidon, bevor es weitergeht.
Wir fahren durch den malerischen kleinen Ort Padola, der mit seinem Kirchturm schon an das südlichere Italien erinnert. Bereits in der Ortschaft steigt die Trasse an, am Ortsende beginnt endgültig die nächste Kletterpartie hinauf zum Passo San Antonio. Dieser hat es in sich! Auf einer überschaubaren Länge von 4,5 Kilometern sammeln wir fast 300 Höhenmeter, wobei sich die Steigung über weite Strecken im Bereich zwischen 8 und 10 % bewegt. Der Anstieg ist ein echtes Kontrastprogramm zu den vielbefahrenen Straßen rund um die Drei Zinnen. Man ist die meiste Zeit mit seinen Gedanken allein unterwegs und kann die frische Luft genießen. Oben am Pass gibt es leider kaum Aussicht, nur das Passschild, das zum obligatorischen Beweisfoto auffordert. Dabei gibt es ein kurioses Detail zu diesem Pass. Immer wieder stößt man in Berichten auf den Namen Passo del Zovo, doch oben am Pass findet sich nur ein Schild mit der Aufschrift „S. Antonio“.
Es folgt eine rasante und kurvenreiche Abfahrt, die uns in kürzester Zeit nach Auronzo di Cadore führt. Schon früh erkennen wir den blau schimmernden Lago di Auronzo und in ein paar Minuten haben wir die große SR48 erreicht. Dort machen wir kurz Halt und gönnen uns eine erste Brotzeit vor der imposanten Kirche San Lucano Vescovo, die in ihrer heutigen Form erst im 19. Jahrhundert erbaut wurde. Wir genießen die herrlich wärmenden Sonnenstrahlen auf dem Gesicht und stimmen uns schon einmal auf den nächsten Teil der heutigen Tour ein. Jetzt geht es nämlich weiter in noch viel einsamere Gegenden.
Nach unserer kurzen Pause folgen wir der Hauptstraße SR48 in Richtung Süden und wir stoßen in einer autobahnähnlichen Kreuzung auf die SS52. Wir fahren geradeaus weiter (offiziell jetzt auf der SS52, nicht mehr auf der SR48) und müssen uns leider die Straße mit reichlich Verkehr teilen, denn wir befinden uns auf einer wichtigen Verbindungsstrecke in Richtung Belluno/Tolmezzo. Zum Glück folgen wir der Hauptstraße nicht lange, denn kurz nach der nächsten Ortschaft Cima Gogna müssen wir links abbiegen. Vorsicht, die Abzweigung führt in einer extrem spitzwinkligen Kurve den Hang hinauf und man kann sie allzu leicht übersehen.
Jetzt haben wir das Schlimmste geschafft und auf uns wartet eine herrlich ruhige, natürliche Gegend. Zunächst sind wir von Bergwiesen umgeben auf mäßig steigender Strecke unterwegs und erreichen nach ein paar Minuten den kleinen Ort Laggio di Cadore. Im Ort zieht die Straße ordentlich an und man muss ein bisschen quetschen, um die kleine Ortschaft hinter sich zu lassen. Doch nicht übertreiben, denn bis zum nächsten Pass dauert es, auf uns warten nämlich rund 1000 Höhenmeter am Stück. Das Alpenvettern-Herz schlägt vor lauter Vorfreude gleich schneller! Bald wird es noch etwas ruhiger, die Straße wird deutlich schmaler und führt entlang des Torrente Piova zunächst recht flach, dann in einer ersten Steilstufe bergan. Zum Glück wird es bald wieder flacher und wir können uns etwas erholen. Außerdem können wir die wilde und unberührte Landschaft so etwas besser wahrnehmen.
Lange währt die Verschnaufpause nicht, denn auf ungefähr halber Strecke, also nach ca. 8-9 Kilometern zieht die Steigung wieder an. Bis zum Ende wird sie kaum mehr nachlassen, wir bleiben die nächsten gut 8 Kilometer bei 8-10 %. Doch keine Sorge, die Tortur ist nur halb so schlimm. Neben der atemberaubenden Landschaft wartet nach ein paar Kilometern ein unvergleichliches Serpentinengewusel auf uns. Die Kehren wirken hier wie gestapelt und man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Viel zu schnell ist die Karussellfahrt zu Ende und wir erspähen das Passschild: „sella Ciampigotto“ – geschafft!
Jetzt wird es wieder viel leichter, denn nach einem schenllen Beweisfoto und einem kleinen Dehnprogramm rollen wir noch ein Stückchen weiter. Rollen ist hier der absolut richtige Ausdruck, denn es geht jetzt einige Kilometer bergab weiter. Wir passieren ein kleines Rifugio und erreichen in wenigen Pedalumdrehungen eine Überraschung, das nächste Passschild „Sella di Razzo“. Wir bekommen heute also einen Pass quasi geschenkt! Doch das ist noch nicht alles, denn ein weiterer geschenkter Pass wartet heute noch auf uns, die Forcella Lavardet. Dazu folgen wir der SP619 und halten uns stets links. Nach kurzer Zeit erreichen wir eine unscheinbare Kreuzung, nach rechts ginge es nach Tolmezzo weiter. Doch wir fahren hier geradeaus, direkt an dem großen blauen Schild mit einem „Durchfahrt verboten“-Zeichen vorbei. Ein paar Meter können wir noch auf perfekt asphaltierter Straße fahren, bevor wir plötzlich auf einen Schotterplatz stoßen. Die Straße endet hier, mit dem Rennrad geht es hier definitiv nicht mehr weiter, wir haben die Forcella Lavardet erreicht.
Doch was hat es mit diesem seltsamen Pass auf sich? Die Forcella Lavardet war einst eine gut ausgebaute Passstraße, die sogar den Titel einer Staatsstraße trug. Die Gegend wird jedoch regelmäßig von schweren Unwettern heimgesucht und die Strecke wird immer wieder verwüstet. 1993 hat man sich schließlich dazu entschlossen, die Straße für den motorisierten Verkehr zu sperren. Das heißt, man kann mit dem Fahrrad ganz legal weiterfahren, doch die Qualität der Straße ist in manchen Abschnitten derart fordernd, dass sie nur mit Mountainbike zu empfehlen sei. So zumindest die Aussage einiger Einheimischer, die wir hier beim Campen antreffen. Wir sind beeindruckt ob dieser besonderen Passstraße. Zwar wird daran gearbeitet, die Straße wieder zu restaurieren, doch der verheerende Sturm Vaia im Herbst 2018 hat die Arbeiten zurückgeworfen. Man muss sich also noch ein wenig in Geduld üben, bevor man die Straße wieder normal befahren kann.
Mit diesem speziellen Pass im Palmarès machen wir uns auf den Rückweg und erklettern die knapp 200 Höhenmeter zur Sella di Razzo und weiter in Richtung Sella Ciampigotto. Langsam merken wir die lange Tour in den Beinen und wir beschließen, in dem Rifugio am Straßenrand eine kurze Rast einzulegen. Der Cappuccino schmeckt hervorragend und gibt uns wieder neue Energie. Normalerweise mögen wir keinen Zucker im Cappuccino, doch bei dieser Tour knallen wir gleich zwei Päckchen in die kleine Tasse, um unserem Blutzuckerspiegel einen kleinen Schub zu verpassen. Eine unserer Vollkornsemmeln würde nämlich zu lange brauchen, um ins Blut zu gelangen. Wir spüren direkt die Wirkung unseres Zaubertranks und fühlen uns zumindest kurzfristig wieder frisch.
Frisch betankt, stürzen wir uns in die schier endlose Abfahrt nach Laggio di Cadore. Zunächst geht es etwas langsamer durch das Serpentinenkarussell voran, dann etwas forscher auf beinahe gerader Strecke. Im Pedalumdrehen sind wir wieder an der Hauptstraße SS52 angelangt und hier unten merken wir, dass es inzwischen schon früher Nachmittag ist, denn die Sonne hat das Tal ordentlich aufgeheizt. Wir kennen die nächsten Kilometer von heute Vormittag und erreichen bald wieder die Kirche San Lucano Vescovo, wo wir wieder einen kurzen Stop einlegen.
Wir dehnen noch einmal ordentlich alle Muskeln, denn unser heutiger Radtag ist noch lange nicht vorbei. Es warten weitere knapp 1000 Höhenmeter auf uns, bis hinauf nach Misurina, das wir von unserer Tour zu den Drei Zinnen noch kennen. Zunächst geht es eher moderat ansteigend durch eine waldige Landschaft. Die Straße ist breit, doch wir haben Glück und der Verkehr hält sich sehr in Grenzen. Leider erscheint uns diese Passage besonders zäh, denn landschaftlich ist sie eher dürftig, besonders im Vergleich zur Sella Ciampigotto. Außerdem erleben wir ein psychologisches Phänomen. Wir sehen die Steigung nicht, aber unsere Oberschenkel spüren den Widerstand in den Pedalen. Der Kopf fragt sich permanent, wieso es so langsam voran geht und allzu leicht überzieht man. Solche Scheinebenen gehören zu den größten Problemen beim aplinen Radfahren!
Bald wird die Steigung forscher und mit den ersten Serpentinen öffnet sich endlich der Blick auf die imposante Bergwelt. Wir erblicken die Cristallo-Gruppe, dieser Anblick verleiht unseren müden Beinen kurzzeitig neue Kräfte. Dennoch zeihen sich die letzten Meter in Richtung Misurina, wir passieren im Schneckentempo die Abzweigung nach Cortina und uns wird schnell klar: Die Scheinebene hat uns den Rest gegeben, wir waren zum Schluss wohl doch zu schnell unterwegs. Oft haben wir diese Situation schon vermeiden können, dieses Mal hat uns aber der Mann mit dem Hammer erwischt. Und wenn man erst einmal im unterzuckerten Bereich ist, geht es rapide bergab mit der Leistung. Man wird immer langsamer, jede Pedalumdrehung wird zur Qual. Doch wir geben nicht auf! Wir mahlen uns Meter um Meter nach oben und endlich sind wird angekommen. Wir sehen den Lago di Misurina und die Drei Zinnen als Inbegriff der Erhabenheit. Dieser Anblick verschafft uns ein wenig neue Energie, auch unser letzter Müsliriegel tut sein Übriges.
Jetzt geht es zum Glück nur noch bergab, wir kennen die Strecke noch von gestern. Wir wissen also, dass jetzt keine Überraschungen mehr auf uns warten. Es ist schon später Nachmittag, trotzdem rauchen noch immer unzählige Autos hinauf in die Berge. Wir sind heilfroh, dass wir ungebremst in die entgegengesetzte Richtung fahren können. In kurzer Zeit sind wir in Toblach angekommen und wir freuen uns auf die wohlverdiente Dusche sowie einen ersten Snack. Jetzt müssen wir uns gut erholen! Wir wollen noch zwei Tage weiter fahren und die Dolomtenwelt genießen. Neben ersten Kalorien gibt es deshalb ein ausgiebiges Dehn- und Selbstmassageprogramm sowie einen kurzen Spaziergang. So können wir die müden Muskeln schon einmal etwas regenerieren. Am Abend sorgt dann eine große Pizza für einen weiteren Nachschub an Kalorien. Wir sind müde, aber wir sind uns auch einig: Diese Tour heute gehört zu den schönsten, die wir je gefahren sind!