Norgerundt 2018, Tag 4:
- Lom - Sognefjellhytta
- 50 km · 1300 hm · Hochalpin
Wieder mussten wir am Vortag aufs Radfahren verzichten und mit dem Auto von Geiranger nach Lom fahren. Zu schlecht war das Wetter mit strömendem Regen und erneut eiskaltem Wind. Zum Glück hatten wir den Dalsnibba schon befahren, sodass die Entscheidung für den Autotransfer zwar schwer, aber doch eindeutig war.
Dafür sollte es jetzt noch ein Schmankerl zum Abschluss geben, das süße Dessert sozusagen. Wir reden hier von nichts anderem als dem höchsten Pass Nordeuropas, dem Sognefjell auf 1434 Metern über dem Meer. Und auch die Länge der Auffahrt von Lom aus ist mit knapp 50 Kilometern rekordverdächtig.
Deswegen starten wir schon früh am Morgen in Lom. Wieder ist es unangenehm kalt bei deutlich unter 10 Grad, doch trocken und das ist schon viel wert. Hoch motiviert klicken wir ein und rollen die ersten Meter aus der Stadt Lom hinaus. Wir folgen der Beschilderung für Radfahrer, denn wir erhoffen uns so weniger Verkehr und mehr Natur.
Das mit dem Verkehr stimmt schon mal, uns begegnen vielleicht zwei oder drei Autos auf der leicht ansteigenden Strecke. Auch das mit der Natur funktioniert gut – zu gut. Denn nach ein paar Kilometern wechselt der Belag von perfektem Asphalt zu fester Naturpiste. Das hätte nicht sein müssen. Zum Glück können wir die ganze Breite der Straße ausnutzen, da es keinen Verkehr gibt, sodass wir allen Löchern und groben Steinen gekonnt ausweichen können.
Wir sind erleichtert, als wir wieder auf die normale Straße treffen. Die Steigung hat sich zurückgelegt und wir rollen fast eben zwischen hohen Bergen gen Süden und tatsächlich bewahrheitet sich das Klischee vom sonnigen Süden. Unglaublich, aber wahr – die Sonne kommt hinter den Wolken hervor und verwöhnt uns mit prickelnd warmen Strahlen. Da rollt es gleich viel leichter.
Schnell kommen wir nach Galdbygde, wo wir zur Juvasshytta abzweigen könnten. Die stand auch auf unserem ursprünglichen Speiseplan, doch nach unseren Erfahrungen mit dem Dalsnibba verzichten wir auf dieses Abenteuer. Zwar würde die Stichstraße zum höchsten anfahrbaren Punkt in Norwegen auf über 1800 Metern Höhe führen – ein verlockender Superlativ fürs Palmarès. Doch wenn schon auf 1500 Metern die Temperaturen um den Gefrierpunkt herumwabern, klingen 1800 Meter nach Schockfrosten.
Also stürmen wir an der Abzweigung vorbei, weiter zum Sognefjell. Langsam verändert sich auch die Umgebung, die Vegetation nimmt sich mehr und mehr zurück. Da wo zunächst noch dichter Wald war, drängt sich nun eine weite, steppenartige Wiesengegend auf. Als wir bemerken, dass wir von der spärlichen Vegetation allmählich zur Felslandschaft wechseln, legen wir nochmals eine Bananenpause ein.
Während unseres Schmauses entdecken wir Beunruhigendes. Dort, wohin die Straße führt, erkennen wir zwar noch die Konturen der Berge, doch alles ist in eine dichte Nebelwand eingehüllt. Wir ahnen Böses und in der Tat: Nach unserer Banane fahren wir nur ein paar Meter weiter und bemerken einen feinen Niesel, Nebelreißen.
Was soll’s, kennen wir ja schon vom Dalsnibba. Genauso kennen wir den Wind, der in peitschenden Böen durchs Bergtal knallt. Wir wechseln uns im Wind gegenseitig ab, trotzdem kommen wir nur langsam voran. Wenn das Wetter besser wäre, könnten wir den kleinen See, an dem wir vorbeirollen, genießen. Jetzt aber kennen wir nur eine Richtung: mit stierem Blick nach oben.
Immer abweisender wird die Umgebung. Wir fahren vorbei an einem rauschenden Wasserfall, der für zusätzliche fliegende Nässe sorgt. Zum Glück lässt dafür die Steigung ein wenig nach und wir können ein bisschen Kraft schöpfen. Diese haben wir auch nötig, denn bald geht es wieder stramm bergan und kurz vor der Krossbu-Hütte beginnt die Straße schließlich in Serpentinen ordentlich an Höhe zu gewinnen.
Zu unserer Verwunderung ist dieser Abschnitt jedoch nicht so schrecklich, wie befürchtet. Das mag auch daran liegen, dass es hier endlich trocken ist und auch die Sonne wieder Erbarmen hat und aus dem Wolkenmeer auftaucht. Im Hintergrund glitzern die Gletscher verspielt in den kargen Sonnenstrahlen – ein zauberhafter und befremdlicher Eindruck zugleich.
Auf den letzten Metern bergauf verlangt uns der Sognefjell trotzdem alles ab. Wir sind müde, durchgefroren und durchnässt. Aber wir wittern schon das Passschild, es ist ganz nah. Unsere prophetischen Ahnungen erfüllen sich bald, leider in ernüchternder Form. Das, was man uns als Passschild verkaufen will, ist ein dürftiges Metallschild mit der Aufschrift 1434. Wirklich sparsam, hier oben. Ein bisschen mehr Pomp hatten wir schon erwartet.
Aber sei’s drum, es sind ja die inneren Werte, die zählen. Die sind tatsächlich sagenhaft. Ein matt schimmernder See, die Gletscher im Blick und ein Gefühl in der Brust, das sich wie Schmetterlinge anfühlt, kurz: Der höchste Pass Nordeuropas.
Nach ein paar Metern befinden wir uns an der Sognefjellshytta, wo unser Begleitfahrzeug wieder auf uns wartet, mit einem dampfenden Kaffee, der uns auftaut. Dabei keimt die Erkenntnis auf, dass auch hier am Sognefjell oben Schluss ist. Die Abfahrt wäre bei den Temperaturen und der Feuchtigkeit schierer Selbstmord, wir sind jetzt schon nass und klamm. Wir nehmen es philosophisch: Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Das passt irgendwie für den höchsten Pass Nordeuropas.