Norgerundt 2018, Tag 2:
- Lillehammer - Rondane
- 98 km · 1300 hm · Alpin
Radsport und Kultur gehören eng zusammen. Deshalb war es für uns besonders interessant, zumindest ein kurzes Stück des berühmten Pilgerwegs in Richtung Trondheim zu befahren. Wir waren zwar nicht wirklich religiös in Norwegen unterwegs, trotzdem haben wir uns in Lillehammer einen Pilgerpass gegönnt und auch prompt abstempeln lassen. Als Erinnerung sozusagen.
In Hochstimmung ob der kulturellen Bedeutung unserer Etappe und der sportlichen Herausforderung, die uns gegen Ende erwartet, starten wir in den Tag. Leider ist es heute deutlich kühler als tags zuvor und auch die Sonne will nicht so recht. Das bedeutet für uns gleich zu Beginn dicke Kleidung gegen Wind und Kälte.
Die ersten Meter rollen wir noch durch die Stadt, doch sehr schnell befinden wir uns in der Natur des Gudbrandsdals, seines Zeichens größtes Tal Norwegens. Die große und weite Landschaft verblüfft uns. Außerdem sind wir im Genuss eines asphaltierten Radweges, der es uns erlaubt, komfortabel und ohne lästige Autos vorwärtszukommen.
Trotz der kühlen Temperaturen pedaliert es sich gut und wir erreichen schnell den kleinen Ort Tretten. Dort erwartet uns sogleich die erste Überraschung des Tages. Am Ortausgang suchen wir vergeblich nach einer radtauglichen Route. Wir stehen vor der großen E6, die autobahnartig vor unseren Pneus liegt. Wenn wir zurück in Richtung Lillehammer schauen, sehen wir klar ein Verbotsschild für Radfahrer und Fußsoldaten, irgendwie auch logisch. Gucken wir jedoch nach rechts, wo wir eigentlich hin wollen, ist kein Schild auszumachen. Nach kurzer Diskussion meint Torsten wacker: „Komm, das packen wir!“ So geht es kaltschnäuzig weiter auf der E6.
Beim Bau der Straße haben die Architekten tatsächlich an die Bedürfnisse von Radfahrern als letztes gedacht. Der einzige Platz für uns ist der Seitenstreifen, der zwischen fünf und zwanzig Zentimetern Breite pendelt. Mit stierem Blick nach vorne geht es weiter. Ein befremdlicher Eindruck ist es, wenn uns LKWs überholen und Torsten scherzt: „Ein bisschen wie in Kroatien!“.
Obwohl wir uns auf einer Autobahn wähnen, scheint es doch irgendwie legal zu sein. Keine Verbotsschilder und die motorisierten Verkehrsteilnehmer überholen uns ohne Gehupe und meistens mit akzeptablem Abstand, von ein paar Manövern im kroatischen Stil abgesehen. Was noch für die Legalität unserer Aktion spricht: Bisher hat uns noch kein Polizeiwagen aufgesammelt. Entweder nehmen es die norwegischen Beamten nicht so genau oder, was uns wahrscheinlicher erscheint, man darf tatsächlich auf diesem Highway mit dem Velo rumeiern.
Auch wenn das Ganze anscheinend rechtlich unbedenklich ist, sicherheitstechnisch ist es schon ein zwielichtiges Vergnügen und wir sind froh, als wir uns dem Ort Ringebu nähern. Kurz zuvor biegen wir jedoch noch kurz ab und fahren einen Hang hinauf zu der berühmten Stavkirke von Ringebu. Leider ist die Stabkirche geschlossen – typisch Ferien- und Saisonende – sodass wir keinen Stempel für unseren Pass bekommen. Doch halb so wild, auch von außen ist das nordische Gotteshaus beeindruckend. Es ist schon verwunderlich, wie man eine so wuchtige Kirche komplett aus Holz bauen kann.
Langsam werden die Regenwolken dichter und wir packen unsere Rucksäcke zur Weiterfahrt. In Ringebu steuern wir directement durch die zentrale Fußgängerzone, mit rechtlichen Grauzonen haben wir jetzt ja Erfahrung. Wir befinden uns auf diese Weise schnell auf der anderen Seite der Ortschaft und uns erwartet prompt ein 12-Prozent-Steilhang. Etwas bizarr im Vergleich zum E6-Abenteuer: Hier haben die Straßenbauer doch tatsächlich einen separaten Radweg spendiert, der in engen Windungen emporführt. Manchmal liegen Fürsorge und Dreistigkeit nah beieinander.
Die Einlage im zweistelligen Steigungsbereich währt nicht lange und die Trasse flacht merklich ab. Ja, es geht sogar ein Stück wieder bergab, bis wir auf die Kreuzung mit der Reichsstraße 27 treffen. Diese führt uns weg vom Gudbrandsdal, hinauf in den Rondane-Nationalpark.
Als würde man einen Schalter umlegen, befinden wir uns jäh wieder in einem Steilstück jenseits der 8-Pozentmarke. Noch geht es einigermaßen flüssig voran, doch wir merken, dass es nicht so flott wie erwünscht geht. Unser Wunsch wäre nämlich ein Husarenritt, denn allmählich fängt es an zu regnen. Bei Temperaturen um die 10 Grad Celsius steht eine Dusche eigentlich nicht auf unserem Wunschzettel.
So können wir auch dem Panorama nur wenig abgewinnen. Eigentlich möchte uns die Landschaft mit alpiner Aussicht verwöhnen, und das, obwohl wir uns noch nicht einmal auf 1000 Metern über Normalnull befinden. Doch mit vermehrt kaltem Wasser im Gesicht und in den Schuhen interessiert uns das wenig.
Am Ort Venabygd, der dem Anstieg seinen Namen gibt, gönnen wir uns eine Banane und etwas Wasser (aus der Flasche wohlgemerkt, nicht von oben). Das ist bitter nötig, denn vorne sehen wir schon den weiteren Verlauf der Straße: steil bergan. Tief einatmen und wieder in die Pedale einklicken. Wir wussten, dass der Weg den Venabygdfjell hinauf lang wird, doch in diesem Sauwetter zieht sich die Angelegenheit doch enorm.
Zäh geht es voran und hinter jeder Biegung sehnen wir uns das Ende der Strecke herbei. Doch nach jeder Windung der Straße geht es weiter hinauf in die Prärie. Man kommt sich schon etwas verhöhnt vor, bei dieser körperlichen und mentalen Plackerei. Die Umgebung wird dabei auch immer bizarrer. In den Alpen würden wir bei zunehmender Höhe eine felsige Landschaft erwarten. Hier bekommen wir zwar karge Vegetation, doch statt Felsen eine moosige Sumpfgegend.
Als sich die letzten Bäume zurücklegen und das Hochmoor endgültig die Regie übernimmt, ist das Schlimmste in Sachen Höhengewinn geschafft. Weiter als über gute 1000 Meter kommen wir hier nicht. Doch die Kletterei ist damit noch lange nicht vorbei. Denn hier machen wir mit einer skandinavischen Eigenart der Straßenarchitektur Bekanntschaft. Anstatt die Straße schlicht zum Hochpunkt zu führen und von dort an eben weiterzubauen, gönnt man sich im Norden einen achterbahnartigen, wellenförmigen Straßenbau. Wieder und wieder geht es 20, 30 Meter rauf und wieder runter, wieder rauf und wieder runter. Da könnte einem fast schlecht werden.
Als wären wir in einem Fahrgeschäft auf der Münchner Wiesn, nähern wir uns dem endgültigen Kulminationspunkt des Fjell, der ziemlich genau auf der Grenze zwischen den Kommunen Hedmark und Oppland liegt. Dabei passieren wir zahlreiche blau-grau-grün schimmernde Moorseen. Und am Ende bekommen wir doch noch ein paar Felsen spendiert.
Wäre es nicht so feuchtkalt, wäre es hier oben sicher zum Verrücktwerden schön. Doch in einer Mischung aus Nebel und Regen sind wir froh, als es endgültig bergab geht. Wieder ist es, als würde jemand einen Schalter umlegen und die Straße fällt beträchtlich. Auf breiter Fahrbahn können wir es ungebremst rollen lassen und die klammen Hände etwas schonen. Ob der Kühle sind wir ziemlich erleichtert als wir unser Ziel erreichen, den Gjestegård Rondane, wo wir uns in einer schmucken Hütte eine heiße Dusche und eine dampfende Tasse Kaffee gönnen. Heute haben wir uns beides redlich verdient.